Die Metaphorik im Wirtschaftskontext ist schon interessant. Da gibt es beispielsweise Assoziationen mit Krieg („War Room“ für einen simplen Arbeitsraum) oder mit Leistungssport (Bergsteiger als Disziplin-Prediger für hohe Unternehmensfunktionäre). Diese Bildhaftigkeiten veranschaulichen oft sehr schön Aspekte des Unternehmertums – Disziplin, Erfolg, Wettbewerb. Am 20. März stand das Südtiroler Wirtschaftsforum hingegen unter einem untypischen Bild – dem Spielerischen und Unterhaltsamen am Wirtschaften: „Unternehmersein als Achterbahn“. In Zeiten des hohen Risikos ist das vor allem für Junge eine motivierende und reizvolle Perspektive: lasst uns mit den Hochs und Tiefs des Unternehmertums „spielen“.
Passend dazu wird der erste Vortrag des Tages von einem Unternehmer gehalten, dessen Unternehmen nicht nur metaphorisch eine Achterbahn ist, sondern auch Achterbahnen verkauft. Alberto Zamperla erzählt uns von steigenden Umsätzen und Internationalisierung – Zamperla und seine Ingenieure haben schon Achterbahnen in Nordkorea und Amerika errichtet. Bezüglich des Wirtschaftsstandorts Italien ist der Unternehmer kritisch: vor allem am Image des Unternehmers in Italien müsse sich etwas ändern. Eine Förderung des Unternehmertums und der öffentlichen Wahrnehmung würde Italien große Vorteile bereiten, wenn junge Menschen vermehrt eigene Firmen gründen würden.
Von den jungen Menschen in Unternehmen spricht auch die Managerin Dagmar Chlosta, zum Thema Mitarbeitermotivation und Innovation. Als Führungskraft bei Adidas habe sie gelernt, worauf es bei der Mitarbeiterführung ankommt, und wie man das Kreativitätspotential der Mitarbeiter am besten ausschöpft. Es sei vor allem wichtig, Mitarbeiter zu inspirieren. Das bedeutet auch, ihnen ein Ziel aufzuzeigen, eine Vision. So seien Mitarbeiter motivierter und „spielen“ auch lieber mit – und ließen sich auch gerne dem gemeinsamen Ziel entsprechend weiter ausbilden. Speziell bei jungen Menschen der Generation Y sei es aber laut Clostas Erfahrung so, dass viele Anreize von vornherein erwartet würden; „Sense of Entitlement“ nennt sie das. Vor allem diese jungen Menschen hinterfragen die Sinnhaftigkeit ihres Tuns – und dieses „Warum“ zu beantworten, sei in großen Unternehmen Aufgabe der Führung.
Einen solchen jungen Menschen, dem sehr an der Sinnhaftigkeit seines Tuns liegt, und der Clostas These vom passiven „Sense of Entitlement“ dann gleich wieder widerlegt, lernen wir mit dem nächsten Vortragenden dann auch kennen. Der Unternehmensgründer Stefan Siegel hat in seiner Laufbahn vom Wirtschaften, das mit Wettbewerbssport und Kampf verbildlicht werden kann (er arbeitete zuvor als Investmentbanker), zum spielerischeren Unternehmertum gefunden. Sein Unternehmen „Not just a label“ verbindet Designer mit Käufern: ein Konzept, das vielen Designern, die von größeren Boutiquen nicht im größeren Stil verkauft werden, ermöglicht, von ihren Designs zu leben. Lange Zeit sei dem Gründer und seinen Mitarbeitern selbst nicht ganz klar gewesen, an welchem Ende dieser wundervollen Idee sie selbst Geld machen könnten, um als Unternehmen nachhaltig zu existieren. Mit Durchhaltevermögen, Mut und Spaß an der Sache haben Siegel und seine Mitgründer aber konsequent an der Umsetzung ihrer Idee gearbeitet. Heute organisiert „Not just a label“ auch große Messen, beispielsweise in Dubai, auf denen Geheimtipp-Designer potentielle Käufer treffen.
Um Durchhaltevermögen geht es auch im Vortrag von Jouseph Oubelkas. Der Niederländer saß viereinhalb Jahre unschuldig in einem marokkanischen Gefängnis – die Geschichte, wie er dort landete, erzählt er lebendig und mit einer guten Portion Humor. Zunächst rätsle ich noch über den Symbolismus in diesem Vortrag: Unternehmertum als Gefängnis? Dann erzählt Oubelkas jedoch, wie er im Gefängnis als Verkäufer von Naschsachen angeheuert wurde, wie er das Gefängnisbeet in den niederländischen Nationalfarben besäte, wie er begann, anderen Gefängnisinsassen Englisch beizubringen, und wie ihn die Liebe seiner Mutter in vielen Briefen auch im Gefängnis erreichte und aufbaute. Aus seinen anschaulichen Beschreibungen kann man wohl viele Lebensweisheiten ziehen – über die vielen erzählerischen Umwege kommt Oubelkas aber zu einer Kernaussage, die er wohl jedem Menschen, und eben nicht nur jedem Unternehmer, nahelegt: das Beste aus scheinbar ausweglosen Situationen zu machen. Selbstmitleid sollte niemandes Strategie sein und aus jeder Lebenslage lassen sich zumindest positive Lernerfahrungen ableiten.
Zu einem Vortrag, nämlich jenem der EU-Kommissarin für Transport Violeta Bulc, fällt es schwer, eine Verbindung zum ursprünglichen Thema „Achterbahn“ zu knüpfen, und da überlege ich mir: im weitesten Sinn ist wohl auch eine Achterbahn ein Transportmittel. Frau Bulcs Vision: Es müsste möglich sein, von Lissabon bis Tallinn ein einziges Ticket zu lösen. Bulc hebt die Herausforderungen rund um die Digitalisierung der Mobilität in Europa hervor, mit denen eine dafür nötige Vereinheitlichung erreicht werden könnte. Ebenso schwebe der Europäischen Kommission vor, Mautsysteme in Europa einheitlich und länderübergreifend zu gestalten. Dies würde die Transportkosten auch für Unternehmen in Europa erheblich senken. Ein spannendes Vorhaben, das in den nächsten Jahren umgesetzt werden soll und seine achterbahngleichen Hochs und Tiefs erfahren wird.
Julia Bodner, Stipendiatin des Clubs Alpbach Südtirol Alto Adige für das Südtiroler Wirtschaftsforum 2015