Impressionen, (auf) Spurensuche und der rote Faden
Von Daniel Rieder
Ich blicke zurück auf die „Politgespräche“, auf die Tage 30. August bis 01. September, und auf das, was Spuren hinterlassen hat. Es finden dieser Tage Seminare, Podiumsdiskussionen, und Workshops statt. Der große Erwin Schrödinger-Saal stellt die zentrale Anlaufstelle im Kongresszentrum dar, bietet Raum für Interaktion, Widersprüche und den Dialog. Wer war dieser Erwin Schrödinger doch nochmal? Ist das nicht dieser Mann, der sich im Alter hierher zurückgezogen hat, Nobelpreisträger, der in Alpbach begraben ist, der Herr mit der Katze?
Baustelle Solidarität: Humanity at Random
VertreterInnen des Zentrums für politische Schönheit (politicalbeauty.de) eröffnen die Politischen Gespräche, appellieren an die moralische Schönheit und daran, Demut vor dem Leben zu haben. Verteilte Postkarten sollen erinnern und konfrontieren mit: „What did you know? What did you do? What didn’t you do?“ – Gute Fragen. Was, wenn uns diese Fragen spätere Generationen stellen? 71 Flüchtlinge – Männer, Frauen, Kinder – sind in dieser Woche erstickt in einem LKW im Burgenland aufgefunden worden.
Die sog. „Asyldebatte“ wird auch hier in Alpbach zum Gespräch, Flüchtlinge und Migration sind Thema. „Are you a legal or a illegal human beeing“, werde ich am Eingang zum Kongresszentrum – und auf dem Weg zum Panel „Sackgasse Europa? Asyl- und Flüchtlingspolitik auf dem Prüfstand“ – gefragt.
Am Panel kommen Meinungen zu Wort, treten Personen in den Hintergrund. Die Arena der Argumente hat begonnen, denn Öffentlichkeit ist umkämpft. Öffentliche Orte werden zu Plätzen, an denen Interessen verdichtet, und gesellschaftliche Auseinandersetzungen um gleiche Rechte Sichtbarkeit und Anerkennung geführt werden. Ich denke an den Dreischritt, der in der Argumentation zu befolgen ist und ohne den es immer ein „Nicht Genügend“ gab: Behauptung – Beleg – Beispiel. Ich prüfe.
Es werden am Podium drei Positionen vertreten, die nicht gleichrangig sind und die Realität nicht zu gleichen Teilen abbilden: “Grenzzäune sind moralisch“, “Grenzzäune und Grenzen sind amoralisch“ und “Grenzen müssen überwindbar sein, wenn es um Flucht geht“. Ja, auch hier kommen Positionen zu Wort, die den „Man-wird-doch-wohl-noch-sagen-dürfen“- Moment nutzen wollen, jedoch als undifferenzierte Meinungsäußerungen zu keiner Auseinander-Setzung beitragen und in der Behauptung verbleiben. Für viele geht es aber um den Dialog und ist demokratischer Konsens an freier Meinungsäußerung überschritten, wenn Hetze gegen Menschen gerichtet ist. Für viele darf es keine Glücksache oder Zufall sein, ob jemand Zugang zu den Menschenrechten hat, und ob die Genfer Flüchtlingskonvention gilt. Ich schaue auf meinen nachgebildeten „Fake-Pass“, den ich im Rahmen einer politisch aktivistischen Aktion vor dem Kongress-Zentrum in die Hand gedrückt gekriegt habe. Ich lese die Rückseite:
„Der Pass ist der edelste Teil von einem Menschen. Er kommt auch nicht auf so eine einfache Weise zustande wie ein Mensch. Ein Mensch kann überall zustande kommen, auf die leichtsinnigste Art und ohne gescheiten Grund, aber ein Pass niemals. Dafür wird er auch anerkannt, wenn er gut ist, während ein Mensch noch so gut sein kann und doch nicht anerkannt wird.“ (Bert Brecht)
Die Evolution von Ungleichheit: Es geht nicht um Konfrontation, es geht um Bewältigung
Das diesjährige Forum widmet sich bekanntermaßen den Diskursen um Gleichheit und Ungleichheit. Wir diskutieren den neuen Parlamentarismus und die Zukunft der Demokratie. Wir manövrieren uns durch Konflikte, bestimmen die Stärkung sozialer Inklusions- und Integrationsprozesse als die Herausforderungen der Zukunft. Wir thematisieren die nachhaltige Verteilung gesellschaftlicher Ressourcen und die Umsetzung neoliberaler Ordnungen. Diese funktionieren bevorzugt über die strukturelle Unterbindung demokratischer Partizipation und Repräsentation. Diese Konzepte werden eingeführt, um die Strukturen von Differenz und Ungleichheit bzw. von Privilegierung zu fassen.
Eben, jetzt muss ein Beispiel her: Die strukturelle Exklusion gesellschaftlicher „Randgruppen“ ist Realität. Angehörige von Minderheiten und marginalisierten Gruppen fordern verstärkt das Einlösen demokratischer Versprechen nach politischen und sozialen Rechten. Dazu gehören „Menschen mit Behinderungen“. Über 90 Prozent der Behinderungen – wie etwa chronische und psychische Erkrankungen – sind nicht unmittelbar sichtbar. Menschen mit Beeinträchtigungen sind häufig strukturell von gesellschaftlichem Leben und eben auch von Arbeitsmärkten ausgeschlossen. Ungleichheiten abzuschaffen heißt deshalb, Barrieren abzuschaffen, Lebens- und Karrierewege trotz Behinderungen zu ermöglichen und damit Sichtbarkeit bzw. Teilhabe zu schaffen. Gregor Demblin ist Mitbegründer von „Disability Performance and Career Moves“, und schafft mit seiner Job-Plattform für Menschen mit Beeinträchtigungen einen weiteren Schritt. Mit Empathie und Empowerment kann gegen strukturelle Diskriminierungen und gegen gesellschaftlich legitimierte Restriktionen vorgegangen werden. Und das kann jeder/jede und täglich: “turn disability into an ability“.
Es wird in diesen Tagen viel von Krisen geredet und von der Krise der Verantwortlichkeit gesprochen. Krisen sind vom Menschen gemacht und lassen sich mit dem „Projekt Solidarität“ begegnen. Und schließlich kann man, gesellschaftliche Repräsentation und Teilhabe wohl nicht nur über den Zugang zu Rechten, den Zutritt zur Arbeitswelt oder über die Partizipation am Konsummarkt bestimmen, sondern insbesondere auch über die Existenz von und das Ausmaß an sozialen Beziehungen und zwischenmenschlicher Wertschätzung. Ein Beispiel gefällig:
My Perception-Bias: Die Gruppe
Wir. Ganz klar. Was sicherlich am meisten Spuren hinterlassen hat, ist die Gruppe, unsere CASA-Gruppe. Wir waren ein Team, keine Ansammlung von Individuen. Wir waren gegen die Ökonomisierung des Individuums, und für den Mehrwert sozialer Beziehungen. Wir waren für nachhaltige Konstanten im Zueinander, und gegen die Rationalisierung des Selbst. Wir waren für „do it together“, und gegen die Instrumentalisierung subjektiver Nutzenmaximierung. Wir waren für das Kollektiv und gegen die Kultur des Wettbewerbs. Wir waren gegen die Konkurrenzgesellschaft und die Erodierung sozialer Beziehungen. Unser Wohlbefindensindikator war die Zugehörigkeit und das Zueinander. Wir waren gegen die Krise der Interaktion, und für den Wachstumsschub durch Gruppenwohlfahrt. Die Gruppe war unsere „common pool“- Ressource. Wir haben eine Sprache gesprochen, die jeder/e versteht und die keinen Ressourcenverbrauch kennt. Wir waren für „diversity now“, und unser Alphabet war Wertschätzung, Respekt und Anerkennung. Unser Akkumulationsregime war Commitment. Und darin haben wir investiert von Anfang an. Wir haben uns gezeigt, wie Wachstum möglich ist: durch die Intensivierung der Beziehungen.
Ein Beispiel? Bitteschön: Nur als Team lässt sich das Alpbacher StipendiatInnen-Fußballturnier gewinnen. Wir haben Applaus gekriegt und die Lorbeeren, und es verdient. Denn wir waren gegen das Trennende und die Ideologien der Differenz, aber für Gemeinschaft und Gemeinwohl.
Schrödingers Katze und ein Zimmer mit Aussicht: “to come back with ideas” und ein “network of friendship”
Wir alle sind nach Alpbach gekommen, um Argumente auszutauschen, Wissen zu teilen, um zu verstehen und um verstehen zu lernen. Je mehr Menschen in Wissensprozesse eingebunden sind, umso legitimierter können diese sein und umso demokratischer gesellschaftliche Entwicklungen.
Es bleibt dem Club Alpbach Südtirol Alto Adige zu danken, für diese Teilnahme am Festival der Ideen, die unter die Haut gehen und dort toben. Alpbach macht neugierig und schafft neue Perspektiven, um mutige Fragen zu stellen und kreiert einen neuen Horizont, um für konkrete Antworten einzustehen.
Und apropos, da war ja noch was mit dieser Katze, Schrödinger‘s Katze. Also, und in aller Kürze: Erwin Schrödinger war Physiker und hat sich bevorzugt mit Quantenmechanik beschäftigt. In der Quantentheorie geht es um Möglichkeiten. Schrödinger konstruiert eben hierzu ein Gedankenexperiment und sperrt eine Katze zusammen mit der folgenden experimentellen Maschine in eine Kiste ein: Ein Geigerzähler registriert, ob die Atomkerne einer radioaktiven Substanz zerfallen – wenn ja, wird ein Mechanismus ausgelöst, indem ein Hammer eine Ampulle mit Blausäure zerschlägt, durch den das Tier getötet wird.
Nach quantenmechanischen Gesetzen kann sich ein instabiler Atomkern in einem Schwebezustand befinden, für den es keine exakten Wahrscheinlichkeitsangaben gibt, ob das Atom intakt oder bereits zerfallen ist. Damit herrscht in der Kammer ein Zustand, in dem sowohl der Atomkern zerfallen und die Katze tot ist, als auch der Kern intakt ist und die Katze lebt. Solange die Kiste geschlossen ist, meint Schrödinger, ist die Katze tot und lebendig. Was die Katze wirklich ist, entscheidet sich nicht von innen, sondern erst unser Nachschauen von außen legt also den Zustand der Katze fest und bringt Gewissheit.
Und in diesem Sinne, für euch, die ihr das EFA noch nicht kennt, ob Alpbach etwas für euch ist oder nicht, und welche Wirk-lichkeit Alpbach hat, wisst ihr noch nicht. Erst wenn ihr euch traut, die Box, auf der Alpbach draufsteht, aufzumachen und nachzuschauen, werdet ihr es erfahren. Also, lehnt euch aus dem Fenster!