Von Barbara Zelger
Der Club Alpbach Südtirol Alto Adige bemüht sich neben anderen Schwerpunkten auch darum, Literatur zum Forum zu bringen. So wurde Robert Prosser, Alpbacher Autor, auch heuer wieder zu einer Lesung geladen, diesmal gemeinsam mit fünf anderen jungen AutorInnen aus Südtirol, Nordtirol und dem Burgenland (Maria C. Hilber berichtete).
Robert Prosser las aber auch im offiziellen Kulturprogramm des EFA 2015, aus seinem Roman im Entstehen „Die Archive der verlorenen Bedeutungen“. Darin geht es um Tuzla in Bosnien, aber auch um Srebrenica. Zwanzig Jahre nach dem Genozid war Prosser dort, auf der Gedenkfeier, und trug seinem Publikum in Alpbach Eindrücke vor, in Worte gefasste Beobachtungen, die in sein Buch fließen werden.
Bei der Lesung wurden Poster verteilt, Momentaufnahmen aus Srebrenica heute: Wie sieht es aus? Wie geht es den Menschen? Wie lebt es sich nach dem Krieg? Wie fühlt sich die Erinnerungskultur an? Verdrängt ein Krieg den vorigen, aus der Perspektive von unbeteiligten Nationen? Wie wird das Davor erlebt, das Danach, von den Betroffenen? Überlebt der Mensch durch Vergessen?
Überlebende, die gibt es immer, und irgendwann einmal redet jemand, erwacht seine Sprache wieder, fordert jemand ein kleines bisschen Gerechtigkeit zurück. Sobald die Kriegstraumata es zulassen, wird es jemanden geben, der nicht mehr alles totschweigt. Die meisten Flüchtlinge aus dem damaligen Kriegsgebiet kehrten nach Hause zurück. Viele von uns kennen Betroffene. Eine Brücke schlagen zu den Flüchtlingen heute: Wie kann Integration gelingen, wie Versorgung gehandhabt werden?
Zwei Wochen nach den Literaturabenden in Alpbach eine neuerliche Auseinandersetzung mit Geschichte. Kriegsgeschichte wiederholt sich leider oft, unterschiedliche Ausgangssituationen, ja, aber trotzdem: wiederholt sich. In Wien habe ich das Stück „Engel des Vergessens“ von Maja Haderlap gesehen, das vom Partisanenkampf durch die slowenische Minderheit in Kärnten während des Nationalsozialismus erzählt. Es wird thematisiert, wie mit Erinnerung und Gedächtnis umgegangen wird, wie Traumata in nächste Generationen weitergetragen werden. Wann kommen verdrängte Emotionen hoch? Braucht es einen Auslöser dafür? Eine ergreifende Geschichte, immer wieder einzelnes Auflachen im Publikum während des Stücks. Wohl um die, auch wenn nicht selbst erlebten, Fast-Erinnerungen zurückzudrängen, ein kleiner Versuch von Auflockerung zwischendurch vielleicht. Am Ende Applaus. Und Stille, ein Eindruck von Stille zumindest. Dann ein Zuschauer, der sich umdreht aus einer der vorderen Reihen, aufgebracht ruft: „Und trotz dieser Geschichte: 30 Prozent FPÖ-Wähler in Österreich, trotz dieser Geschichte!“ Zögernder Applaus. Und wieder alle hinaus in den Alltag, der aus reinem Glück für uns so aussieht, für andere anders.
Und im Nachtzug nach Innsbruck ein sehr junger Flüchtling aus Somalia, der mich fragt: „Ist sie schön, diese Stadt, in der du lebst, diese Stadt, die sich Ankunft nennt?“