Von Fabian Raffl
Dass ich diesen Artikel schreiben kann, liegt laut der Kulturwissenschaftlerin Christina von Braun an der Erfindung des Geldes. Nicht etwa, weil ich mir ohne Geld keinen Laptop hätte kaufen können, sondern weil wir wegen der Einführung des Geldsystems auch eine Buchhaltung und damit ein Schriftsystem entwickeln mussten. So sind wir dem lieben Geld wohl doch zum Dank verpflichtet, obwohl man in den letzten Jahren wenig Gutes über Währungen und Finanzmärkte gehört hat.
Der Bogen von den Stierhoden hin zur Ungleichheit
Die Finanzmarktgespräche an den letzten beiden Tagen des Europäischen Forum Alpbach 2015 sollten passend zum Generalthema „UnGleichheit“ die Probleme der Eurozone und die einseitige Ausrichtung der weltweiten Wirtschaftspolitik hinterfragen. Da kam es ein wenig überraschend, dass die eben schon zitierte deutsche Kulturwissenschaftlerin Christina von Braun die Gespräche mit einem Vortrag über Stierhoden eröffnete. Was haben Stierhoden mit dem Finanzmarkt zu tun? Dazu eine Hintergrundinformation meinerseits: Unter dem Titel „Der menschliche Körper als Goldstandard“ erzählte sie von der Kulturgeschichte des Geldes und warum der Stier das Symbol der Börse ist. Nämlich darum, weil der Stier als höchstes aller Opfertiere schon immer für Reichtum gestanden hat und bis heute mit Potenz in Verbindung gebracht wird. Und beim Stichwort Potenz kommt der Mann ins Spiel. Unterschwellig wird dann dem männlichen Geschlecht die Schuld an allem Übel auf den Finanzmärkten zugewiesen. Naja, man(n) ist sicherlich nicht nicht schuld, denn Frauen hatten in der Vergangenheit ja wenig zu sagen in der Finanzbranche. Damit ist der Bogen von den Stierhoden hin zur Ungleichheit glücklicherweise gelungen.
Ungleichheit auf den Finanzmärkten besteht allerdings lange nicht nur zwischen Mann und Frau. Es gibt große Unterschiede in Macht, Reichtum, Wachstum usw. Mit einem Beispiel dazu eröffnet der österreichische Finanzminister Hans Jörg Schelling seine Rede: Der Wirtschaftsraum Europa erbringt 25% der Wirtschafsleistung der Welt, Tendenz sinkend. Der Wirtschaftsraum Europa erbringt aber auch 50% der Sozialleistungen der Welt, Tendenz steigend. Europa steht in dieser Hinsicht vor einer Herkulesaufgabe. Gemeinsam sei man dem aber gewachsen, ist sich Schelling sicher. Er unterstreicht zudem, dass wir die Frage „Wo stehen wir?“ schon lange genug erörtert haben und uns nun endlich mit „Wo wollen wir hin?“ auseinander setzen sollten.
Wo wollen wir hin, fragt Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem bei einem Late Night Talk
Aber wo wollen wir hin? Über diese Frage konnte sich der „beloved minister“, wie Schelling von einem zynischen Zuhörer angesprochen wurde, bei einem Late Night Talk mit Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem ausführlicher unterhalten. Dass es nach der Eurokrise Zeit ist für einen Neuanfang, darin sind sich alle einig: Strukturen reparieren, Konvergenz schaffen, Vertrauen in den Euro zurückgewinnen. Das sind nur wenige von unzähligen Punkten, die besser heute statt morgen in Angriff genommen werden sollten. Am Beispiel Irland sieht man, dass Reformen durchaus Erfolg haben können. Zwei Dinge sind dafür notwendig: Risiko und Solidarität. Die EU muss das Risiko eingehen, harte aber konkrete Maßnahmen mit aller Kraft umzusetzen. Zudem müssen alle Mitgliedstaaten gemeinsam anpacken.
Gemeinsam anpacken heißt es laut Dijsselbloem auch bei der Flüchtlingsfrage: Es braucht nicht nur Solidarität mit den Flüchtlingen, sondern auch unter den Mitgliedstaaten. Die finanzielle Stärke zur Lösung des Problems hätte man jedenfalls.
Unterschiedliche Meinungen zur Krise
Die Finanzmarktgespräche 2015 waren nicht nur geprägt von der Eurokrise, Bankenrettung und der Frage nach der Zukunft Griechenlands, sondern auch von unterschiedlichen Meinungen. Genau dadurch wird das Forum zu einem so spannenden Event. Viele schauen nach überstandener Finanzkrise optimistisch in Europas Zukunft, andere sehen noch viele große Steine auf dem Weg. Wiederum andere behaupten, Europa und der Euro waren vom Anfang an zum Scheitern verurteilt.
Nicht nur wegen seines Optimismus hat mich persönlich Jeroen Dijsselbloem bei den Finanzmarktgesprächen am meisten beeindruckt. Ganz sachlich und klar schilderte er die Situation in Europa: Alle Länder in der Eurozone hätten sich verbessert, außer Griechenland. Europa und der Euro würden nur so lange überleben, solange die Europäer daran glauben und daran festhalten.
Die Moral von der Geschicht‘: Heutzutage liegt der Wert des Geldes nicht mehr in geopferten Stieren, sondern im Vertrauen der Menschen an die Währung. Und Vertrauen kann sich jeder leisten, ob arm oder reich! Das ist auch schon ein guter Schritt in Richtung Gleichheit.