im Bild: Carl Djerassi (ganz links) mit einigen Mitgliedern und Stipendiaten des Clubs Alpbach Südtirol Alto Adige im Rahmen der Career Lounge 2014
Am 30. Januar 2015 verstarb Carl Djerassi, der berühmte Chemiker und Miterfinder der Pille, Kunstmäzen und Autor von vielen Romanen und Theaterstücken. Als er sich im August 2014 bereit erklärte, sich mit uns Studenten beim Forum Alpbach zu treffen, um die Wissenschaft als Karriereweg zu besprechen, ging es weniger um die Pille als um große Gefühle und Leidenschaften und wie sie das Leben lenken, und das Streben nach Anerkennung. Die Studenten drängten sich damals um seinen Tisch um ihm zuzuhören, wenn er seinen Anekdoten immer wieder ein „wie Sie auch in meiner Autobiographie nachlesen können“ nachschickte.
Mr. Djerassi bezeichnete sich als „intellektuellen Polygamist“ und erzählte uns, wie er überhaupt dazu kam, als Chemiker ein Romancier zu werden. Verliebt in eine Literaturprofessorin, schrieb er seinen ersten Roman mit dem Ziel, seiner großen Liebe zu imponieren und sie von einem anderen Mann, einem Literaten, zurückzugewinnen. Eine durchaus produktive Eifersucht, die Djerassi, damals schon etwas älter, das Schreiben für sich entdecken ließ. Die Liebesgeschichte ging gut aus: Carl Djerassi und Diane Middlebrook blieben bis zu Dianes Tod im Jahre 2007 verheiratet.
In seiner Autobiographie „Der Schattensammler“ geht es vor allem auch um die dunklen Zeiten im Leben, die Djerassi hatte und auf die der Titel anspielt. Er sprach über den Freitod seiner Tochter und das Vertrieben-Werden aus Österreich als junger, jüdischer Mann. Sein komplexes Verständnis von „Heimat“ beschäftigte ihn ein Leben lang. Zu einer späten Aussöhnung mit seinem Herkunftsland Österreich kam es durch die Anerkennung seiner Leistungen durch das Veröffentlichen einer österreichischen Briefmarke zu Carl Djerassis Ehren. Im hohen Alter noch erwarb Djerassi ein drittes Zuhause, neben jenen in London und San Francisco – in Wien.
Der Untertitel der Autobiographie ist Zeugnis von einem kühler und trockener Selbstironie: Djerassi hat seinem Buch „Der Schattensammler“ den Untertitel „die allerletzte Autobiographie“ gegeben. Als er mit uns Studenten über diesen Titel sprach, lächelte er schelmisch: Es sei nun einmal die allerletzte! Der Tod spielte in Djerassis literarischem Werk eine große Rolle. Als wir über sein Theaterstück „Ego“ sprachen, in dem ein Schriftsteller seinen Freitod fingiert, um seinen eigenen Nachlass zu lesen, erzählte er ganz selbstverständlich, dass es natürlich auch um ihn selbst gehe. Er wäre sehr neugierig, sagte er, zu hören, was die Leute nach seinem Tod wohl über ihn sagen würden. Carl Djerassi hatte so genau Vorstellungen davon, was man über ihn sagen sollte, dass er in seinem ersten Kapitel der „allerletzten“ Autobiographie, in der er über seinen eigenen, fiktiven Freitod kurz vor seinem hundertsten Geburtstag schrieb, einen fiktiven Lesebrief im Namen seiner Autobiografin schreibt. In diesem Brief stünde, am 6. November 2023: „Lange Nachrufe in der New York Times und den wichtigen europäischen Zeitungen meldeten, dass der renommierte Chemiker und Schriftsteller Carl Djerassi am 28. Oktober […] Selbstmord durch Ertrinken beging […]“.
Ich begebe mich auf die Google-Recherche, um zu sehen, wie glücklich Carl Djerassi über seinen Nachruf in den verschiedenen Medien wohl wäre. In der New York Times erscheint online ein langer Bericht über ihn. In jeder deutschsprachigen Zeitung, die mir so einfällt, und auch in internationalen Magazinen wie The Economist, finden sich Artikel über Carl Djerassis Leben, seine Leistungen und Vielseitigkeit als Literat, Chemiker und Kunstmäzen. Im Standard erscheinen sowohl ein langer Artikel als auch eine Reihe von Porträts aus einem Gespräch mit Djerassi im Jahr 2013 – gestikulierend, lächelnd. Auf den Bildern schaut er sein Gegenüber, abseits des Kamerabildes, eindringlich und mit wissendem Blick an.
Wie bereits im fiktiven Leserbrief in Djerassis Autobiographie geschrieben, „vielleicht sitzt der Hundertjährige ja irgendwo und lacht sich ins Fäustchen“. Wenn er wie in seinem Theaterstück „Ego“ nun tatsächlich irgendwo sitzen würde – ich denke Carl Djerassi wäre mit der Art, wie sich die Journalisten mit seinem Werk und der Inspiration, die von ihm ausging, beschäftigen, durchaus zufrieden.
Was würden wir gern in unserem Nachlass lesen? Ein makabrer Gedanke, aber auch einer, der es gewiss vermag, manchen Entscheidungen im Leben neue Bedeutung beizumessen. Carl Djerassi scheint die Frage nach dem, was später von ihm bleibt, stets getrieben zu haben. Neben all seinen Entdeckungen, Kunstsammlungen und Werken hinterlässt Carl Djerassi nicht zuletzt bei vielen jungen Menschen – wie bei uns Studenten des Forum Alpbach im August 2014 – einen bleibenden Eindruck darüber, wie Leidenschaftlichkeit, große Gefühle aber auch schwere Zeiten und der Gedanke daran, was einmal von uns bleibt, ein Leben füllen und reich machen.
Julia Bodner