Von Anna Lena Zippl
Eigentlich bin ich ja nach Alpbach gekommen, um meinen medizinischen Tunnelblick wieder loszuwerden und endlich wieder einmal etwas anderes zu hören. Als ich das Programm der Gesundheitsgespräche gesehen habe, hat sich aber das freudig hüpfende „Bingo“ – Gefühl eingestellt, das ich habe, wenn Dinge, die mir am Herzen oder auf dem Magen liegen, genau auf den Punkt gebracht werden. Hier ging es nämlich nicht um Fachliches, sondern um Themen wie „Gesundheitspolitik zwischen Nanny-Staat und Neoliberalismus“, „Zweiklassenmedizin“ und „Gesundheitliche Ungleichheiten in der EU“.
Neben Vorträgen und Podiumsdiskussionen, in denen sich die Herren Experten vor allem auf der Oberfläche des Problemmeeres bewegten und heikle Themen gekonnt umschifften, hatten wir Teilnehmer die Möglichkeit, in den „Breakout Sessions“ aktiv zu werden.
31 Gesundheitspioniere aus ganz Europa erzählten vor Kleingruppen von uns Teilnehmern die Geschichte ihrer Projekte und Initiativen, die Ungleichheiten im Gesundheitssystem beseitigen helfen. Die Probleme, die mit diesen Projekten bekämpft werden, reichten von medizinischer Versorgung für Obdachlose und Flüchtlinge bis zur Übersetzung von Fachchinesisch für die Patienten. Die Moderatorin erklärte uns, wir sollten die Geschichten beim Zuhören durchsieben, wie es die Goldsucher machen.
Trotz (oder wegen?) dieser plastischen Beschreibung konnte ich mir erst nur vage vorstellen, was unsere Aufgabe sein sollte und worauf das Ganze abzielte. Die seltsamen Aufträge und die starre Struktur kamen mir erst eher hinderlich und einschränkend vor. Als wir Zuhörer dann aber begannen, in verschiedenen Geschichten Gemeinsamkeiten zu suchen und daraus konkrete Empfehlungen für die Gesundheitspolitik abzuleiten und zu formulieren, kam die Begeisterung zurück. Wir Zuhörer kamen aus verschiedensten Branchen, waren Ärzte, Sozialarbeiter, Pfleger, Pharmavertreter, Leute aus Verwaltung und Politik – und so entdeckte ich plötzlich ganz andere Aspekte und Blickpunkte an altbekannten Themen. Ich beobachtete erstaunt, wie aus meinen Notizen, die mir so unzureichend und partiell erschienen, in der Zusammenarbeit mit den Anderen professionell klingende und doch konkrete Empfehlungen Form annahmen.
Die Ergebnisse, die die verschiedenen Gruppen erarbeitet hatten, wurden vom Moderationsteam ein weiteres Mal überarbeitet und auf gemeinsame Nenner gebracht. Diese sollten am nächsten Tag den österreichischen Gesundheits- und Familienministerinnen präsentiert werden. Ich war sehr gespannt darauf, ob ich in den endgültigen Empfehlungen unsere Arbeit noch erkennen würde. Wie erwartet war Manches durch die Verallgemeinerung ausgehöhlt worden – Anderes stand aber sehr konkret und klar da. Gespannt bin ich weiterhin – und zwar, ob die Ergebnisse dieses Experiments in Partizipation tatsächlich umgesetzt werden.