Einmal im Jahr treffen Granden aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft in einem beschaulichen Alpendorf auf die Jugend. Der Ort: idyllisch, alpenländisch. Die Atmosphäre: gegensätzlich. Alpbach, einst das schönste Blumendorf Europas, ist aus den Wirren der Pandemie erwacht und so auch dessen europäisches Forum. Nach einem Jahr der Ruhe wird hier wieder die Zukunft Europas diskutiert, genauer die anstehende große Transformation.
Das diesjährige Generalthema „the great transformation“ ist von Karl Polanyies gleichnamigen Meisterwerk entlehnt. Darin zeichnet Polanyi die gesellschaftlichen Verwerfungen in der Entwicklung vom Feudalismus hin zum Industriekapitalismus nach. In deren Ausmaß zumindest ebenbürtige Verwerfungen stehen uns aufgrund der Klimakrise bevor. Das Thema könnte für ein Aufeinandertreffen zwischen Entscheidungsträger:innen und der Jugend kaum passender sein. Schließlich ist der Lebensstill der von den letzten beiden Generationen vorgelebt wurde nichtmehr tragbar, um eine menschenfreundliche Lebenswelt auf diesem Planeten zu gewährleisten. Lebensstil, Kultur und die Beziehung vom Menschen zur Natur müssen neu gedacht werden.
Nun aber zur Komplikation, die im Mittelpunkt des vorliegenden Gedankengangs stehen soll. Eine „große Transformation“ der Gesellschaft, vorgenommen in kurzer Zeit, führt unvermeidlich zu einer Umverteilung von Macht. Die Zeitlichkeit spielt hier eine zentrale Rolle. Während für die Entscheidungsträger:innen kurzfristig ihre Machtposition auf dem Spiel steht, ist es für die Jugend ihre Zukunft. Um das Überleben der Menschheit zu sichern, müssen die Weichen innerhalb von kürzester Zeit neu gestellt werden. Diese Neustellung wird vor allem die Jugend und kommende Generationen betreffen, muss aber aufgrund der Dringlichkeit unmittelbar vorgenommen werden. Somit muss der Umbruch von derzeitigen Entscheidungsträger:innen eingeleitet werden und hat Auswirkungen weit über deren Lebenszeit hinaus. Wie die Jugend in diesen Prozess eingebunden werden und ihre eigene Zukunft nicht nur umzusetzen sondern mitgestalten kann, war der Elefant im Raum des diesjährigen Forums.
Der Handlungsbedarf war Konsens, die Veränderungstiefe Kontrovers. In den Großveranstaltungen des Forums wird diese Diskrepanz am greifbarsten. Auf der Bühne die Entscheidenden, welche sich gegenseitig für Ihre Leistungen bezüglich Umweltschutz und Nachhaltigkeit auf die Schulter klopfen, im Publikum die Jugend, die weit mehr fordert. Abseits des formellen Programms trafen wir uns, um Möglichkeiten zu diskutieren, wie Institutionen verändert werden müssen, um die Mitgestaltung der Jugend zu ermöglichen. Im Folgenden sollen zwei Ideen kurz skizziert werden, welche in keiner Diskussion zu diesem Thema unter Stipendiat:innen gefehlt haben. Die Umsetzung dieser könnte eine essentielle Hebelwirkung auf die Geschwindigkeit der „großen Transformation“ und somit auf die Erfolgreiche Abwehr einer globalen Klima- Katastrophe haben.
In einer Demokratie in welcher ältere Generationen aufgrund der demographischen Entwicklung einen Löwenteil der Wahlbevölkerung stellen, liegt es in der Logik des Systems, dass besonders die Anliegen der Älteren adressiert werden. Um die „große Transformation“ voranzutreiben und das vorliegende Ungleichgewicht auszugleichen müsste das Wahlgesetz verändert werden. Zum einen könnten Eltern zusätzliche Wahlstimmen für ihre minderjährigen Kinder erhalten. Die Prämisse dabei ist, dass diese bessere Entscheidungen für die Zukunft treffen, da ihnen das langfristige Wohl ihrer Kinder am Herzen liegt. Zum anderen könnten Stimmen von Jungwählern höher gewichtet werden. Ein Verfahren das es in einigen Ländern bereits gibt, um das Ungleichgewicht zwischen Stadt- und Landbevölkerung auszugleichen.
Die skizzierten Ideen könnten die Dynamiken der anstehenden Transformationsprozesse grundlegend verändern. Wie auch beim Forum ersichtlich liegt jungen Menschen ihre Zukunft am Herzen, deshalb sind sie tendenziell zu mutigeren Umbrüchen bereit als Ältere. Diese Tendenz zu nutzen könnte ein kritischer Faktor für das Abwenden der Klima-Katastrophe sein.
Die präsentierten Ideen sollen den Möglichkeitsraum öffnen, Utopien für die Zukunft zu entwerfen. Die Transformation soll, im Gegensatz zu jenen von Polanyi beschriebenen, nicht vom Markt sondern von der Jugend mitgelenkt und gezielt beschleunigt werden.
Jakob Kofler