EFA_diario #2: Für ein Europa der Funktionalität und Interdependenz


Es ist nun bereits etwas mehr als eine Woche vergangen seit ich in Alpbach angekommen bin, höchste Zeit also einen Moment innezuhalten und zu reflektieren. Eine Woche in der ich eine Vielzahl von Ideen und Perspektiven, Menschen und Standpunkten aber auch an Abenteuern und Freude erlebte. All das natürlich in einer Intensität die nur Alpbach ermöglicht. Doch sehe ich diesen Beitrag nicht in erster Linie um Werbung für das Europäische Forum Alpbach zu machen, im Gegenteil, ich hoffe den mir gegeben Raum fruchtvoll zu nutzen, um einige Gedanken über die Zukunft Europas zu teilen. Dieses Unterfangen mag erstaunen, denn zum einen bin ich natürlich kein Experte in diesem Bereich, zum anderen mag auch die Europäische Union (EU) als Ganze auf den Ersten Blick nicht beim Thema „Freiheit und Sicherheit“ als erstes in den Sinn kommen. Denn natürlich, wenn man an die Institutionen denkt, welche das Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit definieren, sind nationale Verfassungen und Mehrheiten von konkreter Bedeutung. Doch dieser Blick ist trügerisch. Zum einen verkennt er die Komplexität und Funktionalität moderner Gesellschaften, zum anderen versperrt er den Blick auf alternativen. Die Idee, die ich an dieser Stelle verfechten möchte, basiert auf Gedanken von Professor Zielonka und schlägt vor, einen funktionalen Ansatz zu wählen, wenn man über das Zusammenleben in Europa nachdenkt. Funktional ist in diesem Sinne so verstanden, dass es zuerst analysiert was passiert, wo und wie verschiedene Ebenen interagieren. Im Gegensatz zu Subsidiarität geht es dabei nicht um ein Auslagern an die unterste mögliche Ebene, sondern das komplexe Zusammenspiel verschiedener Interessensgruppen. Im Voranschreiten möchte ich nun kurz auf drei zusammenhängende Fragen eingehen. Zunächst ist es von Bedeutend die Frage des warum zu klären. Warum sollte man funktional über Europa nachdenken. Darauf aufbauend geht es darum was sich durch diesen Blick ändern würde. Abschließend möchte ich die Frage analysieren ob diese Perspektive tatsächlich einen gangbaren Weg vorwärts bietet.

(Foto: Andreas Langes)

Warum sollte sich unsere Perspektive ändern? Das politische Europa steckt zweifelsohne in Krise. Keine der drei großen Herausforderungen des letzten Jahrzehnts (Euro, Asyl und Rechtsstaatlichkeit) wurde vollständig gelöst. Der gemeinsame Währungsraum konnte nur mit Mühe gerettet werden, und wenn auch Schritte zur zusätzlichen Stabilisierung unternommen wurden, ist es höchst fraglich ob die zaghaften Zugeständnisse in Richtung Bankenunion und Europäischen Stabilitätsmechanismus tatsächlich ausreichen werden um einen makroökonomischen Schock der Größenordnung von 2008 abzufedern. Sollte jedoch erneut eine solche Krise kommen ist es fraglich inwieweit politischer Wille existent ist strukturelle Reformen anzugehen. Die zweite Krisestellte die Zunahme an Asylanträgen im Sommer 2015 dar und die Unfähigkeit der Mitgliedsstaaten eine gemeinsame Lösung zu finden. Dies trotz des allgemeinen Konsenses, dass Dublin dysfunktional ist. Als letzten Punkt möchte ich noch die Rechtsstaatlichkeitsverletzung insbesondere in Polen und Ungarn ansprechen und auch hier die Unfähigkeit der Union betonen, konkrete Schritte dagegen zu setzen. Allen dreien diesen Krisen sind zwei Punkte gemein: Zum einen sie sind im Spannungsfeld zwischen Nationalstaatlichkeit und EU Institutionen verhandelt jedoch niemals daraus entstanden. Zum anderen scheint weder ein Einfaches vor, hin zu mehr Integration bzw. zurück, also eine Rückgabe von Kompetenzen als wenig praktikabel. Hin zu einem mehr an Europäischer Union fehlt schlicht der politische Wille. Zurück jedoch, ist gegeben der globalen Natur der soeben benannten Herausforderungen auch wenig praktikabel.

Was also, lässt sich tun? Nun, wenn weder ein vor noch zurück möglich sind so kann man doch seitwärts ausweichen. Denn die Probleme, welchen sich Europa stellen muss, sind nicht staatliche Probleme, nur unsere Wahrnehmung, unsere Brille, die wir gewohnt sind aufzusetzen, beschreibt sie als solche. Beginnen wir bei der Wirtschafts- und Währungskrise: Natürlich ist es einfach Deutschland als wirtschaftliches Schwergewicht darzustellen und Italien als Sorgenkind des Euroraumes, doch wenn man regionale Daten ansieht, dann lässt sich klar erkennen, dass einige norditalienische Regionen sehr wohl mit den stärksten deutschen Bundesländern mithalten können, bei gleichbleibenden starken Disparitäten innerhalb beider Staaten. Ähnliches trifft auch auf die Bereitschaft Asylsuchende aufzunehmen oder den zivilgesellschaftlichen Widerstand gegen die Justizreformen in Polen und Ungaren. Gerade diese Diversität ist es welche mich optimistisch stimmt und einen Ausweg bietet. Im Sinne Zielonka´s Funktionalität sehe ich diesen Ausweg in zweifacher Hinsicht. Zum einen als Änderung des Paradigmas im Sinne einer politischen Vision: anstatt Europa im Ringen um Kompetenzen zwischen Nationalstaaten und EU-Institutionen gefangen zu halten, sollte die Komplexität von Gesellschaften als vielseitige Strukturen akzeptiert und angenommen werden. Dies klingt natürlich äußerst ungenau, doch ein Blick auf die Komplexitätstheorie verdeutlicht was ich damit meine. Grundsätzlich geht es darum Dynamiken zwischen verschiedenen Akteuren auf verschiedenen Ebenen sowie deren Interdependenz zu Verstehen.
Der Frage also nachzugehen, wie gewisse Entscheidungen auf tiefer bzw. höher gelegenen Strukturen das Gesamtsystem beeinflussen. Diesem Ansatz inhärent ist das Anerkennen von Komplexität und auch das Eingestehen, dass man soziale Dynamiken nur äußerst schwer gänzlich verstehen, geschweige denn genügend prognostizieren kann. Zum anderen geht es darum, diese Vision in konkretes politisches Handeln umzusetzen. Dies bedeutet die Vernetzung von Interessensgruppen und Entscheidungstragenden über Landesgrenzen hinweg, etwa von Städten mit NGO´s und Unternehmen, von lokalen politischen Initiativen mit nationalstaatlichen Akteuren. Also konkret, von der Änderung des institutionellen Rahmens, etwa indem das „Comitee of Regions“ stark aufgewertet und als zweite Kammer zusätzlich zum Parlament installiert wird. Indem dort neben Vertreterinnen von Regionen auch jene von Städten aber auch von Unternehmen und zivilgesellschaftlichen Akteuren Platz finden.

Zu der Frage ob dies ein gangbarer Weg sei nur so viel: Ob links oder rechts, die Idee, dass nationale Souveränität eines der Probleme des 21. Jahrhunderts lösen wird bezweifle ich stark. Jedoch bin ich überzeugt, dass ein konzeptionell neues Paradigma, welches in ersten Konkreten schritten jedoch nichts anderes ist, als die Möglichkeit die Vernetzung und Verbindung Europas auf unterschiedlichen Ebenen voranzubringen und gemeinsam konkrete Lösungen zu suchen einen Schritt in die richtige Richtung bedeutet.

Alpbach ist der Ort an dem Ideen wie diese entstehen und einen Raum finden, sich zu entwickeln. Die Möglichkeit sich mit Menschen unterschiedlichster Auffassungen und Ausbildung, sowie mit dem Bewusstsein politisch Veränderungen voranbringen zu wollen gibt mir Hoffnung. Hoffnung für uns junge Menschen und für Europa, dass wir gemeinsam den Weg, den unsere Eltern und Großeltern nach den Katastrophen des letzten Jahrhunderts wählten, weiterzugehen.

von Jakob Schönhuber