Von Benjamin Monsorno
Kann Ungleichheit in der Wirtschaft auch positive Seiten haben? Ab welchem Zeitpunkt ist der Unterschied zwischen Arm und Reich zu groß? Und wie kann die „Schere der Ungleichheit“ wieder geschlossen werden? Auf der Suche nach Antworten bei den diesjährigen Wirtschaftsgesprächen des 70. Europäischen Forums in Alpbach.
Noch nie gab es auf unseren Planeten so wenig Menschen, die unter der Armutsgrenze leben. Die Erfolge der globalen Armutsbekämpfung haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten eine neue Mittelschicht in den Schwellen- und Entwicklungsländern dieser Welt geschaffen. Über eine Milliarde Menschen haben alleine in den letzten 15 Jahren die Armut überwunden und verfügen über einen bescheidenen aber wachsenden Wohlstand.
Dass es bei der Definition von Mittelschichten um nationale Durchschnittsgrößen handelt, welche um 25% über und unter dem Durchschnittseinkommen einer Bevölkerung liegen, kann generell zu verzerrenden Interpretationen führen. Denn Kapitalismus schafft zwar Reichtum, er vergrößert aber auch seit Jahrzehnten die Kluft zwischen Wohlhabenden und Mittellosen. Und genau hier lag die Grundlage für zahlreiche Debatten, Arbeitsgruppen und Vorträgen bei den diesjährigen Wirtschaftsgesprächen des Europäischen Forums in Alpbach.
Der amerikanische Traum ist geplatzt
Glaubt man Dr. Matthias Schnetzer vom Institut für Makroökonomie der WU Wien ist der amerikanische Traum bereits in den 70er Jahren geplatzt – zumindest in Österreich. Denn laut Schnetzer hat sich in den vergangenen 40 Jahren die Schere zwischen Arm und Reich in Österreich immer weiter geöffnet. Dies führt dazu, dass ein Großteil der österreichischen Bevölkerung nicht über dieselben Möglichkeiten verfügt. Die Gründe dafür sieht Schnetzer im finanziellen Background der Eltern und den riesigen Ungleichheiten bei Erbschaften von Vermögen.
Doch Ungleichheit alleine ist nicht ein Grundproblem an sich. So ist ein bestimmtes Maß an Ungleichheit für wirtschaftliches Wachstum notwendig. „Wir brauchen ein gewisses Maß an Ungleichheit in einer Gesellschaft, da ansonsten alle gleich ´wenig´ besitzen würden – und dieser Wohlstand wäre in Österreich auf einem sehr niedrigem Durchschnittslevel.“, sagt Schnetzer. Doch es scheint als würden die positiven Aspekte einer weltweiten Wohlstandskluft im gegenwärtigen Ungleichheitsdiskurs den Contra-Argumenten nicht das Wasser reichen können. Denn die Tatsache, dass 1 Prozent der Weltbevölkerung ab 2016 erstmals mehr als die Hälfte des globalen Vermögens besitzt (siehe Oxfam-Studie) birgt ein unüberwindbares Konfliktpotential.
Die große Frage bei der Debatte in Alpbach lag aber nicht in der Umverteilung des Vermögens, schließlich hat ein Bill Gates niemanden das Vermögen „gestohlen“, die große Frage war und ist, wie man für die andere Hälfte der Weltbevölkerung, welche über gar keine Mittel verfügt, faire Grundvoraussetzungen für die Verbesserung ihres Lebensstandards schafft.
Ein neuer Stern am Intellektuellenhimmel
Wie erwartet fiel der Name des französischen Starökonomen Thomas Piketty bereits bei der Eröffnung der Wirtschaftsgespräche. Kein anderes Werk hat in den vergangenen Jahrzehnten in der internationalen wirtschaftspolitischen Intellektuellenszene ähnlich viel Aufsehen erregt wie Pikettys „Das Kapital im 21. Jahrhundert”. Seit Jahren sammelt Piketty gemeinsam mit seinen Kollegen Daten über das Geld der Welt, allen voran über das der Reichen. Das ist nicht einfach; denn so omnipräsent und wirkmächtig sich das Kapital zunehmend erweist, so wenig untersucht ist es.
Pikettys Kernaussage ist klar und deutlich: Ungleichheit ist kein zufälliger Auswuchs des Kapitalismus sondern ein notwendiges Merkmal dieser Wirtschaftsform. Einmal ausgelöst, vermehrt sich die Masse des Kapitals schneller als Arbeitnehmer ihr Vermögen durch Arbeit steigern können. „Wenn der Staat oder die Geschichte nicht regulierend eingreifen, wächst das Kapital schneller als der Ertrag der Arbeit.“, sagte der Senior Analyst der OECD, Michael Förster in einem Seminar des Forums. Seine Schlussfolgerung lautete: wird ein derartig exzessiver Kapitalismus nicht bald reformiert, ist die demokratische Grundordnung nur schwer zu retten. Dieser Prozess ist heute bereits in südeuropäischen Ländern und in Russland zu beobachten. Das bürgerliche Leistungsprinzip ist dort ausgehebelt, was zählt ist die gesellschaftliche Stellung und die Finanzkraft der Eltern.
Pragmatische Wirklichkeitsgestaltung
Der Diskurs zum Thema Ungleichheit war bei den diesjährigen Wirtschaftsgesprächen in Alpbach vor allem eines: grundlegend pragmatisch. Und das war auch gut so. Denn während die vorgelegten Studien und Statistiken im globalen Wirtschaftskontext eingangs zutiefst emotional und erdrückend wirkten, halfen die folgenden pragmatischen Diskursansätze eine Basis für zukünftige Veränderungsprozesse zu schaffen. Platz für sozialistische, marxistische oder neoliberale Ideologien war in diesem Diskurs über Ungleichheit keiner. Denn Ideologien spielen mit Gefühlen und liegen einem schnellem stereotypisierenden Denken zu Grunde. Pragmatismus hingegen bezieht die Andersdenkenden mit ein und fördert den Konsens. Im Pragmatismus beweist sich die Wahrheit einer Theorie an ihrem praktischen Erfolg, an ihrer Realisierbarkeit also. Und dazu gehört es auch Kritik und Zweifel anzunehmen, aus Fehlern zu lernen, Meinungen zu erneuern und sich auch zu verändern. Ein pragmatisches Handeln ist also niemals an „unveränderliche Prinzipien gebunden“.
Alleine deshalb lohnte es sich diese schier „unerträgliche Leichtigkeit der Ungleichheit“ durch pragmatische Lösungsansätze zurück auf den Boden der Realität zu holen. Und so waren sich die Experten in Alpbach einig, dass eine ungleiche globale Einkommens- und Vermögensverteilung nur durch die gerechte, progressive Besteuerung des Vermögens und, allen voran, durch die vermehrte Förderung von Bildung bekämpfbar ist. Und zwar ohne leidenschaftliche Reden aber dafür mit viel Vernunft.