Wieder kein Gipfelsturm, wieder kein Gipfelkipferl im Sonnenaufgang. Nachdem die erste Frühmorgenwanderung der eigenen Faulheit zum Opfer fiel, gerät deren zweite in die Fänge der Nebelmaschine, die heute früh großflächig zum Einsatz kommt. Schwamml drüber, die Kopfnote des gestrigen Abends schwirrt noch zwischen Haupthaar und Rachen, jede Stunde zusätzlichen Schlafs ist keine zuviel. Am Frühstückstisch ist um 8 noch keine Menschenseele zugegen; einzig volle Brotkörbe, Margits Marmeladensortiment und geometrisch genau gedeckte Tische künden von deren bevorstehender, zahlreicher Ankunft. Mit einem erstaunlichen Zeitgefühl gesegnet, treppen nahezu alle im Haus Barbara vorhandenen Altoatesiner im Laufe der nächsten Viertelstunde in den Frühstücksraum herab. Schließlich will doch niemand die abschließenden Seminar-Sessions verpassen, die viel versprechen. Nicht zuletzt müssen doch alle noch nicht beantworteten Fragen sowie alle noch nicht befrugten (mit einer Frage versehenen) Antworten an die Frau/den Mann gebracht werden.
Mein Favorit, Seminar 03, die ‘Energy Transitions’ mit den Professoren Smil und Giampietro, hat sich in den vergangenen Tagen zu einer wahren power plant entwickelt, die Elektrizität wird direkt aus den hitzigen Diskussionen gewonnen. Vaclav Smil steht nicht still. Der Mann deutet, wirbelt, gestikuliert wild im unbesetzten Luftraum herum, der die lebensnotwendige Pufferzone zwischen Publikum und Dozenten bildet. Der Himmel ist nun wieder ein klarer, das Thema des Seminars lässt allerdings, wenn auch nur im Klassenraum der Hauptschule, wieder Gewitterwolken aufziehen. Verbal-konfrontativer Natur, versteht sich. Smil, Emeritus am MIT, und sein Fachkollege, unser italienischer Landsmann Mario Giampietro, bringen eine unangenehme Wahrheit ans Tageslicht. Nicht die algoreische, sondern jene der falschen Argumentationstechniken, überhasteten Entscheidungen und überzogenen Erwartungen der Energiewende. Vielleicht ist der Grundton der Session zu pessimistisch, werden zu wenige Wege aus dem Chaos aufgezeigt; immer wieder werden verbale Torpedos gen Pult gefeuert, die Stimmung droht mehr als einmal zuungunsten der Vortragenden zu kippen. Glücklicherweise beruhigt die Kaffeepause im Freien regelmäßig die erhitzten Gemüter: die angestaute Wärme kann hier kostenfrei an die knackig frische Alpbacher Bergluft abgegeben werden.
Felix Obermair