Europa im Wohnzimmer


Foto: Felix Obermair

Foto: Felix Obermair

Von Anna von Hepperger

Stell dir vor du befindest dich mit 13 weiteren Leuten in einem fremden Wohnzimmer. Du weißt nicht, ob du Teil eines Spiels, einer Theaterinszenierung oder eines wissenschaftlichen Experiments bist. Die Beschreibung im Programm ist kurz und wenig aufschlussreich. Am Tisch liegt eine große handgezeichnete Karte Europas. Du wirst von dem sogenannten Spielleiter, den du noch nie zuvor gesehen hast, gebeten, mit einem bunten Filzstift deinen Namen auf die Landkarte zu schreiben und 3 Punkte zu markieren, zu denen du in irgendeiner Weise eine emotionale Bindung hast. Auf dem Tisch steht zudem eine Kuchenform mit ungebackenem Teig und eine merkwürdige Maschine. Du setzt dich gemeinsam mit allen anderen um den Tisch und das Spiel beginnt.

So erging es mir, als ich letzten Mittwoch der Einladung für das Projekt „Hausbesuch Europa“ des schweizerisch-deutschen Theater-Kollektivs „Rimini Protokoll“ ins Haus Barbara gefolgt bin. Wir alle wurden nichts ahnend Teilnehmer einer äußerst spannenden, aufschlussreichen und lustigen interaktiven Inszenierung. Auf spielerische Art und Weise zeigte uns dieses Experiment Gemeinsamkeiten und Unterschiede auf und schickte uns auf eine faszinierende Reise quer durch die Ideenwelten einer Gruppe junger Menschen unterschiedlicher Herkunft. So wurden uns Teilnehmern emotionale, politische und ideelle Werte entlockt.

Im ersten Teil des Spiels wurde die selbstgebastelte Maschine im Uhrzeigersinn weitergereicht und einer nach dem anderen durfte den grünen Knopf auf der Oberseite betätigen. Die Maschine druckte, begleitet von merkwürdigen Geräuschen, eine Art Kassazettel auf dem unterschiedliche Aufgaben und Fragestellungen beschrieben waren. Der Teilnehmer, der an der Reihe war, las seinen Zettel vor und alle folgten den Anweisungen. Die Fragen und Aufgaben waren sehr unterschiedlich. Themen waren Europa, politisches Engagement, Zukunft, Konflikte, Identität und Vertrauen. Andere Fragen, wie beispielsweise das Vertrauen in die Demokratie, die Solidaritätsbereitschaft oder der Ehrgeiz wurden mit den Fingern von 1-5 von jedem beantwortet. Aufgrund dieser Antworten berechnete das „System“ passende Paarungen, die beim nächsten Teil des Spiels (Competition) gegen die anderen Paarungen antraten, um ein möglichst großes Stück des Kuchens (der ebenfalls während des Spiels gebacken wurde) zu gewinnen. Mithilfe von kleinen Computern, die jedes Team erhielt, begann das Spiel um den Kuchen. Unter Zeitdruck mussten wir Wissensfragen beantworten, die anderen Teams einschätzen und teilweise emotionale Entscheidungen treffen, die den Erfolg der anderen Teams beeinflussten.

Wir Teilnehmer wurden durch diverse Einwürfe und Zwischenaufgaben vom Spielgeschehen abgelenkt. Einige dieser Methoden dienten dazu, die anderen Mitspieler besser kennenzulernen, andere erinnerten daran, dass das Projekt von einem Theaterkollektiv entwickelt wurde.

Besonders faszinierend war es, die Gruppendynamik zu beobachten, die sich im Laufe dieser zwei Stunden bildete. Offensichtlich reicht der Anreiz auf ein Stück Kuchen aus, um in jedem Menschen einen großen Ehrgeiz zu entwickeln: Alle Teams waren mit vollem Elan dabei und kämpften um ihren Anteil. Das Projekt „kontrastiert die abstrakte europäische Idee mit der Individualität einer Privatwohnung und versucht persönliche Geschichten und die Mechanismen des politischen Europa zu verzahnen“, wie das Theaterkollektiv es selbst beschreibt.

Was ist Europa? Ist es eine geografische Grenze, eine kulturelle Identität, ein Staatenverbund? Mit dem „Hausbesuch Europa“, das bereits in verschiedenen Städten Europas veranstaltet wurde, versuchen sie den Antworten auf diese komplexen Fragen auf ihre eigene Art und Weise ein Stück näher zu kommen.

Für mich war es auf jeden Fall eine sehr bereichernde Erfahrung. Der Mut, neues auszuprobieren, wurde – wie so oft beim Europäischen Forum Alpbach – mit neuen Erkenntnissen, viel Spaß und natürlich mit einem Stück Kuchen belohnt.

Foto: Felix Obermair

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