Ich liege auf der Wiese über dem Kongresszentrum in Alpbach. Mich umgibt die idyllische Natur. Die Sonne brennt auf meiner Haut und entfernt sind Gelächter und Applaus einer Panel-Diskussion zu hören. Herrlich. Ich ertappe mich dabei, wie mein Blick wieder mal nach Südtirol schweift. Etwas, das in diesen letzten Wochen immer wieder vorgekommen ist. Was wohl zuhause gerade so passiert? Welche Themen besprochen werden? Hier in Alpbach bekomme ich davon ja nichts mit, weil ich seit Tagen nicht auf stol.it, Tageszeitung Online oder Salto war. Ein Jammer. Es ist ja eh Sommerloch, sag ich mir, nicht so schlimm. Plötzlich tut sich was in meinem Kopf, getrieben von all dem Trubel rundherum, vom freien Spiel der Ideen, von den sozialen Interaktionen und vom Konsum von Wissen. Wie aus dem nichts schießt mir ein Thema durch den Kopf: Emanzipation junger Frauen in Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Forschung. Da muss doch was getan werden! Hier in Alpbach ist das – vor allem unter Stipendiatinnen und Stipendiaten – ja eh kein Thema mehr, denke ich mir. Klar doch, Manuel, es hat sich ja auch schon sehr viel getan in der Chancengleichheit zwischen Mann und Frau. Aber es geht noch mehr, sagt mein gesellschaftsliberales Ich. Wir haben in Südtirol ja vergleichsweise eine sehr gute Bildung, räume ich dann wieder ein. Die ermöglicht es eh allen Geschlechtern, eine Karriere im gewünschten Feld einzuschlagen. Aber es gibt trotzdem noch viele Gründe, weshalb wir junge Frauen in Südtirol weiterhin stärker ermutigen sollten, zu den STEM-Fächern zu gehen, widerspreche ich mir. Denn gerade hier findet sich immer noch ein überwiegend von Männern dominiertes Studienfeld vor, was logischerweise nicht zu vielen weiblichen Absolventen führt. Ich steh’ auf und geh eine Runde. Im Kreis. Immer noch in Gedanken versunken. Mein artsy Blumen-Hemd flattert im Wind. Die Leute nicht unweit von mir müssen sich wohl denken, ich sei hier auf irgendeiner Art von Sinnsuche. Wie kann Südtirol junge Mädchen ermutigen, sich technischen Fächern zuzuwenden? Wie können wir das Problem männerdominierter Branchen ohne bindende Quoten lösen? Zwei Punkte fallen mir ein: Bildung und Medien. Was kann Schule beitragen? Immerhin bleibt es eine persönliche Entscheidung, ob ich “erneuerbare Bioressourcentechnologien” studieren will oder nicht, ob ich in die Forschung oder in die Wirtschaft gehen will, ob ich eine Karriere einschlagen will, oder doch lieber daheim bleibe. Und ja, das stimmt, Schule kann nicht auf Druck Interesse für ein bestimmtes Fach erzeugen. Schule kann aber schlummernde Interessen wecken und fördern, die sonst nie ans Tageslicht gekommen wären. Das ist es, was Bildung ermöglichen sollte. Die freie und individuelle Entfaltung, die an gesellschaftlichen Präkonzepten vorbeigeht und den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Ich wiederhole: den Menschen – und nicht das Geschlecht. Zweitens stellen Medien einen wichtigen Faktor in der öffentlichen Meinungsbildung dar. Bei einem Vortrag hier in Alpbach hat Wnet – networking women auf die Bedeutung von Frauen in den Medien hingewiesen. Es beginnt natürlich bei der geschlechtergerechten Sprache. Es ist klar, dass Nennung von “Expertinnen und Experten” bei einer Gruppe beider Geschlechter in einem Artikel zur Bedeutung von Frauen in Führungs- und Entscheidungspositionen beiträgt. Vielmehr sehe ich das Problem aber im Agenda Setting. Die Nachrichtenauswahl und das Berichten über weibliche Protagonistinnen trägt meines Erachtens am ehesten zu einer verstärkten Sichtbarkeit bei. Auch das hat Wnet gut aufzeigen können, etwa durch ihre jüngst durchgeführte Aktion in den Südtiroler Medien. Und gerade hier braucht es starke Frauen, die Mut und Expertise beweisen. Ohne Initiative auf beiden Seiten – Medienunternehmen und Frauen – kann dieser Schritt nämlich nicht gelingen. Die Fernsehjournalistin Claudia Reiterer meinte diesbezüglich einmal, Frauen würden bei Einladungen zu Fernsehdiskussionen tendenziell eher zögern als Männer. Die Bereitschaft, sich öffentlichen Debatten stellen zu können, sollte öfters da sein, denn es gibt mehr als genug Expertinnen auf allen möglichen Fachgebieten. Ich lege mich wieder hin auf die Wiese, blicke in den Himmel und suche nach einer Antwort auf dieses scheinbare Dilemma. Und wieder ertappe ich mich dabei, wie mein Blick nach Südtirol schweift. Diesmal aber nicht vom Kongresszentrum, sondern von meinem Laptop aus – beim Schreiben dieses Tagebucheintrags. Ich denke mir, welch prägendes Ende diese meine Argumentationslinie und diese Story doch finden könnte. Welchen Beitrag ich durch diesen Tagebucheintrag leisten kann. Ich will nicht mit einem generischen „Alpbach hat mir meinen Horizont in Hinsicht auf Gleichberechtigung erweitert“ aufhören. Das hat doch keinen Impact. Daher schreibe ich hier komprimiert meine Conclusio, mein Aufruf, mein Abstract dieses Papers auf: Wir brauchen Vorbilder und Frauen, die sich nicht genieren, in die öffentliche Wahrnehmung zu treten und ihre Meinung kundzutun. Wir brauchen Schulen, die alle Kinder unabhängig voneinander fördern, wertschätzen und dabei Entfaltung zulassen. Wir brauchen eine Politik, die ein Zeichen setzt – die mehr Vorbilder für junge Frauen generiert. Und in dieser Hinsicht wiederhole ich das, was ich eh schon seit Jahren immer wieder sage: Wir brauchen in Zukunft endlich mal eine erste Südtiroler Landeshauptfrau.
von Manuel Lavoriero