EFA23 diary: Camilla Magis


Vor einem Monat, bei der Stipendienverleihung in Bozen, hörte ich das erste Mal vom „Alpbach Spirit“.  Auf meine Frage, was denn genau damit gemeint sei, entgegnete man mir nur etwas kryptisch: „Ach, das muss man erleben!“

Nach acht erfolgreichen Tagen hier in Alpbach, kann ich bestätigen: Der Alpbach Spirit existiert. Doch da er tatsächlich etwas schwierig in Worte zu fassen ist, möchte ich zwei Erlebnisse der vergangenen Woche schildern, die hoffentlich auch den Alpbach-fremden Leser den Alpbach Spirit erahnen lassen. 

Intellektueller Anspruch und Ringen um Lösungen

Wir befinden uns in einem schlecht durchlüfteten Klassenzimmer der Mittelschule Alpbach. Die Direktorin des Wirtschaftsinstituts EcoAustria sowie ein Wissenschaftler des ifo Instituts München präsentieren die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Thema „Internationaler Handel und Sanktionen“. Mithilfe von ökonometrischen Methoden wird gezeigt, wie finanzielle Sanktionen Wirtschaftswachstum, Investitionen und Konsum im Zielland verringern. Wir lernen, dass Sanktionen die durchschnittliche Lebenserwartung der Bevölkerung verkürzen, wobei insbesondere Frauen betroffen sind. Und die Analysen zeigen, dass Sanktionen in Demokratien viel wirksamer sind als in Autokratien. 

Nach dreieinhalb Stunden interessanter, aber höchst technischer Diskussionen, rauchen die Köpfe. Normalerweise würden alle schnellstmöglich in die wohlverdiente Mittagspause stürmen. Doch nicht in Alpbach. Ayana aus Äthiopien bezichtigt nämlich kurz vor Seminarschluss die USA, afrikanische Staaten gezielt daran zu hindern, eine eigene Industrie aufzubauen. Und das kann Johannes, ein junger deutscher Student, der seine Kindheit in Kenia verbracht hat, natürlich nicht auf sich sitzen lassen. Die Schuld für Afrikas langsame Industrialisierung sei nicht nur auf den Westen zurückzuführen – afrikanische Regierungen hätten selbst einige Versäumnisse zu verantworten. Ein Stuhlkreis von etwa zehn jungen Menschen bildet sich, und – trotz Magenknurren – entbrennt eine hitzige Diskussion mit hochqualitativen Argumenten. Alpbach Spirit eben. 

Ausgelassenheit und Offenheit

Fröhliches Gedränge, traditionelle Kleidung, und ein Potpourri von Klängen aus aller Welt: das ist der internationale Bazaar, auf dem die Stipendiaten aus aller Welt die Möglichkeit haben, ihre heimische Kultur zur Schau zu stellen. Ich probiere getrocknete Raupen am kenianischen Stand, bekomme ein wohlduftendes Lavendelsäckchen von den Kroaten geschenkt, und werde von einem Rumänen überzeugt, ein Gemisch aus Wodka und der Erdbeermarmelade seiner Großmutter zu kosten (ja, um 11 Uhr vormittags). Unser eigener Beitrag? Zusammen mit dem Club Trentino servieren wir Speck-, Kas-, und Spinatknödel, die sich größter Beliebtheit erweisen. Und während wir mit viel Liebe jeden Knödel mit Parmesan und zerlassener Butter versehen, ergibt sich oft die Gelegenheit, unseren internationalen Freunden zu erklären, wo Südtirol liegt, und wieso nicht nur Österreicher, sondern auch Südtiroler gerne Knödel essen. 

Nach ein, zwei Stunden guter Laune, die durchaus der Sonne, dem guten Essen und dem georgischen Wein geschuldet sein mag, passiert etwas beinahe Magisches: Ein Kroate holt seinen Kontrabass hervor, und stimmt ein populäres Lied an. Immer mehr junge Menschen stimmen ein, und auf einmal singen Serben, Kosovaren, Kroaten, Bosnier, Nordmazedonen miteinander aus vollem Hals. Es wird getanzt, geklatscht, gepfiffen, und verschiedenste Fahnen des Balkans werden geschwungen. Ein eindrucksvoller Moment der Einigkeit unter Menschen, die Spaltung gewohnt sind. Eine serbische Stipendiatin hat (Freuden-)Tränen in den Augen. Alpbach Spirit eben.